Segeln ist mehr als nur ein Sport:Segeln ist eine zutiefst menschliche Form des Erlebens Man betrachte das Hobby Segeln mal von außen. Da investieren die Segler sündhafte Summen und viel Energie für eine Beschäftigung, die gefährlich werden kann, die sie Wind, Kälte und Nässe aussetzt, die sie auf engem Raum mit anderen zusammenpfercht und die sie womöglich mit Seekrankheit konfrontiert. Der Beobachter wird auch registrieren, dass man unter den selben Bedingungen im Berufsleben Härte- und Gefahrenzulagen kassieren würde. Noch vor 100 Jahren hätten erfahrene Berufsseeleute jeden für geistesschwach gehalten, der sich freiwillig, ohne jeden ökonomischen Zwang und nur aus sportlichen Gründen in ihre Lebenslage gebracht hätte. Ohne Zweifel ist es erst eine Errungenschaft dieses Jahrhunderts, dass Menschen als Reaktion auf das vielfach abgesicherte und in festen Bahnen ablaufende tägliche Einerlei des Lebens in den Großstädten das Abenteuer, die unberührte Natur, das Unvorhersehbare und eben einen gewissen Grad an Unsicherheit suchen. Allerdings sind Segler keineswegs mit den Nervenkitzel-Suchern unserer Zeit in den zunehmenden Extremsportarten wie Drachenfliegen, Snowboard-Paragliding, Freeclimbing, Bungeejumping oder Bodyflying zu vergleichen. Diese „Sportler“ sind durch ein hohes Maß an kurzfristiger Sensationslust-Befriedigung gekennzeichnet. Auch die extremsten Erfahrungen solcher werden bald gesättigt, und sie versuchen, die Gefahr und den Nervenkitzel weiter zu steigern, um ihren Kick zu erleben. All dies hat mit dem Motiv zum Hochseesegeln wenig gemein. Das eigentliche Motiv, das des Segler immer wieder auf die See hinaus treibt, wurde erst kürzlich von Jim Macbeth entdeckt: das sogenannte Flow-Erlebnis. Unter Flow (deutsch: fließen, strömen) versteht man in diesem Zusammenhang ganz allgemein, dass Menschen im zweckfreien, dennoch aber sinnvollen und zielgerichteten Handeln eine zutiefst menschlichen Form des Erlebens finden, die die Grenzen zwischen dem eigenen Ich und der Welt so verwischt, dass man sich in seinem Tun vergisst und der Weg und das Ziel eines werden. Flow Erlebnisse beruhen immer auf einer durch sich selbst motivierten (intrinsischen) Tätigkeit. Fahrtenhochseesegler sind deshalb nicht durch Geld, Preis oder Konkurrenz (extrinsisch) zu motivieren. Flow-Erlebnisse entstehen bei Aktivitäten, die den Menschen vollständig in Anspruch nehmen und ihm deutliche Herausforderungen stellen. Im einzelnen ist Flow durch sechs Merkmale gekennzeichnet. 1. Das Verschmelzen von Tätigkeit und Bewusstsein: Beim Segeln vergisst man sich leicht selbst, konzentriert sich auf die Wellen und die Kimm und beobachtet nur noch die Bewegungen des Bootes, die sich in einer periodischen Bewegung des ganzen Körpers auswirken. Dies ist besonders bei starkem Wellengang und zur Nachtzeit der Fall. Schon das Kurshalten mit ständigem Blick auf den schwach gedimmten Kompass und das automatische Reagieren mit dem ganzen Körper auf jede Bewegung, löst eine Art hypnotischer Trance aus. Das Handeln ist mit dem Erleben verschmolzen und wird nicht mehr bewusst gesteuert. 2. Das Richten der Aufmerksamkeit auf ein begrenztes Reizfeld.: Kompass und Ruderpinne bilden einen Konzentrationspunkt für die Aufmerksamkeit, dazu gehört noch die Kimm, um das auftauchen anderer Schiffe und von Hindernissen zu bemerken. Jede Abwechslung, ein auftauchendes Schiff, eine Schule Delphine oder eine plötzliche Veränderung der Geräusche seiner Yacht, reißt den Segler aus dieser Konzentration. Sonst aber wird er besonders auf langen Seetörns ganz von dieser Konzentration auf seine kleine Welt erfasst, und alle Probleme an Land , im Beruf und im Privaten, verlieren völlig ihre Bedeutung. 3. Der Verlust des Ich: Dieses Merkmal zeigt sich in drei Aspekten, nämlich erstens dem Einswerden des Seglers mit seiner Yacht, zweitens dem Einswerden des Seglers mit der Natur und den Gewalten des Meeres und drittens der Entrückung von den bürgerlichen Bequemlichkeiten an Land, von Status, Rang und materiellen Gütern .Zum zweiten Aspekt lesen wir bei Moitessier, wie er sich mit Seevögeln, Delphinen und der See um ihn herum unterhält. Und der soziale Status an Land ist bedeutungslos und nutzlos auf See. Bei den Menschen, die der Segler unterwegs kennen lernt, verwischen sich die sozialen Unterschiede. Freundschaften werden im nicht durch gesellschaftliche Umstände aufgezwungen. 4. Die Steuerung des eigenen Handels und der Umgebung: Jede Handlung des Seglers ist abgestimmt auf seine Umgebung, und er hat alle Folgen seines Handelns selbst zu verantworten. Er kann sich gegen (fast) alle Gefahren durch Voraussicht schützen. Er ist unabhängig in seinen Entscheidungen. Auf der hohen See hat ihm keiner etwas zusagen. Das Gefühl, mit dem Schiff und seiner Umgebung zurecht zu kommen, vermittelt ihm eine tiefe Befriedigung. Gefahr wird als etwas angesehen, mit dem man fertig werden kann. Laurence Le Guay sagt in seinem Buch “Sailing free“: “Eine ordentlich ausgestattete und solide konstruierte Yacht mit einer fähigen Crew, wird in der Regel mit allem fertig, was das Meer hervorbringt, es sei denn, es treffen Gegenstände unglücklich aufeinander wie Glasfiber und Korallen oder Holz und Wale.“ Viele Menschen entscheiden sich für das Leben auf See, weil sie dort mehr als in ihrer Umgebung an Land die Dinge selbst steuern können. 5. Eindeutige Handlungsanforderungen und klare Rückmeldungen: Auf See ergeben sich für den Segler klare Anforderungen. Er muss alles können: Elektrik, Maschinentechnik, Holz und Metallarbeiten, Segelnähen, Meteorologie, Mathematik und Menschenführung. Wenn er etwas falsch macht, bekommt er die Folgen sehr bald zu spüren. Wenn seine Navigation nicht stimmt, erreicht er sein Ziel nicht. Er kennt das erregende Gefühl, nach langer Seefahrt eine ganz bestimmte Insel zu sichten, in einen vorausbestimmten Hafen einzulaufen. Das Segeln unterliegt den traditionellen Regeln der Seemannschaft. 6. Der autotelische Charakter des Segelns: Autotelisch bedeutet, das der Sinn und Zweck des Segelns in sich selbst liegt. Moitessier schreibt dazu: „All die Schönheit unserer Erde... all die Zerstörung, die wir darauf anrichten. Gott, wie gut es doch ist, hier zu sein, keineswegs in Eile, nur ja nach Hause zu kommen.“ Folgerichtig schlug der Belobigungen und Preise für das Segeln aus und drehte in führender Position bei der ersten Globusumspannenden Regatta 1969 wieder in den Pazifik ab. Dies alles zusammengefasst macht das Flow-Erlebnis des Segelns aus. Darin liegt – ob wir uns bewusst darüber klar werden oder nicht – das Geheimnis der Lust am Segeln. Wer von einem längeren Segeltörn zurück kehrt, geht mit neuen Ideen wieder an seine Arbeit. Gerade für einen geistig tätigen Menschen ist ein solcher „Reset“ notwendig, um alle Fenster seiner Gedankenprogramme neu öffnen zu können und Platz für neue geistige Strukturen zu schaffen. Wenn der Alltag an Land den Segler wieder hat, ist manches große Problem vielleicht ganz klein geworden und hat Raum für neue Perspektiven eröffnet. von Prof. Dr. Michael Stadler |
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